Der Fuchs und die Tanne

Eines Tages fragte der Fuchs, wer denn das bessere Leben habe.

„Mein Leben ist schön!“, sprach die Tanne. „Abends, wenn die Sonne hier im Westen untergeht, taucht sie das Tal in ein herrliches Licht.“

„Aber die Welt ist doch viel größer und bunter, als du sie sehen kannst“, sprach der Fuchs.
„Auch meine Welt ist bunt“, sprach die Tanne. „Die grüne Wiese verwandelt sich an manchen Abenden in ein dunkles Rot. Im Frühjahr grünt alles, im Herbst fallen die Blätter und alles ist braun und golden, im Winter liegt manchmal Schnee…“

„Das schon, aber es gibt doch viel mehr als das eine Tal. Ich habe schon viel entdeckt: Verschiedene Höhlen, beeindruckende Berge und Seen. Im schattigen Dickicht beobachte ich die Tiere heimlich.“

„Oh, ich beobachte die Tiere auch!“, antwortete die Tanne. „Weißt du die Tiere bemerken es gar nicht. Und verstecken muss ich gar nicht. Ich erinnere mich immer genau, an welchem Tag ich welches Tier beobachtet habe und wie die Sonne an diesem Tag stand.“

Der Fuchs liebte es, an ihr entlang zu streifen. Die Tannennadeln kitzelten ihn und zogen durch sein Fell wie einen Kamm.

„Weißt Du“, sagte der Fuchs, „ich liebe das Abenteuer. Ich belauere meine Beute. Ich rieche sie. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl. Es macht mich wild und hungrig.“ Die Tanne lächelte ein wenig milde. „Ich muss nichts jagen. Mich ernährt mein Boden“ sagte sie. „Wenn es regnet, saugen meine Wurzeln das Wasser. Die Sonne gibt mir Kraft zum Wachsen.“

Der Fuchs blickte sie von der Seite an. Sie sah wirklich prächtig aus. So gleichmäßig im Wuchs, so schlank und von graziler Schönheit. Wie wenig Aufwand sie hatte, dies alles zu erreichen, wenn er an seine nächtlichen Streifzüge dachte, die ja nicht immer von Erfolg gekrönt waren.

Dennoch liebte er das Auf und Ab. Er liebte die Freude des Erfolges und ein Misserfolg spornte ihn an, es besser zu machen. „Ich will noch mal in das Tal dahinten und es genau erkunden.“, sprach er, in dem er über sein Leben nachdachte. „Wie groß die Welt wohl ist? Vielleicht gibt es ja noch mehr als das Tal dahinten? Ich würde gerne die ganze Welt sehen.“ sagte der Fuchs. „Tanne, was ist dein Lebensziel?“

„Ich habe kein spezielles Ziel“, sagte die Tanne, „ich will, dass jeder Tag schön ist.“

Es kam der Winter und es wurde eine harte Zeit für den Fuchs. Es gab kaum Nahrung und er war sehr abgemagert, als er wieder auf die Tanne traf. „Ach!“, sagte der Fuchs, „ich wünschte mein Leben wäre so einfach wie deines.“ „Ach!“, sagte die Tanne, die ein Stückchen gewachsen war, „dahinten gibt es ein weiteres Tal, das ich früher nie gesehen habe. Das würde mich reizen genauer zu sehen.“

„Sei froh, dass du nicht umherziehst und morgens dir keine Gedanken machen musst, woher du am Tag was zu Essen bekommst“, sagte der vom Hunger gezeichnete Fuchs, aber die Tanne erwiderte:

„Sei froh, dass du dahin gehen kannst, wo du Essen bekommst. Wenn es hier im Sommer trocken wird und die Abgase der Autos auf mich hernieder kommen, dann wünschte ich mir ich könnte zu einem schattigen Platz fernab der Zivilisation gehen.“

„Wollen wir tauschen?“, fragte der Fuchs.

„Nein!“, antwortete die Tanne. Dann streifte der Fuchs mit seinem Fell an einem herunterhängenden Zweig der Tanne entlang. Er liebte es, wenn die Nadeln sein Fell wie einen Kamm durchzogen.