Packen


Vorfreude auf den Urlaub ist für den einen oder anderen fast genau so schön wie der Urlaub selber. Im Kopf entsehen Bilder von Strand, Sonne, Meer, Berggipfeln, Entschleunigung, schönem Essen und vielem mehr. Die Seele baumelt schon mal ein bißchen auf Probe. Aber davon ist hier bei uns nichts zu spüren. Für romantische Momente ist der Urlaub selbst da, aber die schönste Romantik will hart erarbeitet werden.


Etwa zwei Tage bevor es losgeht, beginnt das Packen. Die ersten Häufchen mit Reiseutensilien beginnen sich an verschiedenen Stellen des Hauses zu erheben. Fast unmerklich stapeln sich an der einen Ecke Taschentücher, Sonnencremes, Insektensprays und Kosmetiktücher. An anderer Stelle sind Badelatschen, Sandaletten, Bergschuhe und Wandersocken zu einer Gruppe zusammengestellt. Wie kleine Maulwurfshügel sieht man in fast jedem Zimmer Anzeichen aktiver Aufbruchsvorbereitungen.


Meine Frau befindet sich in dieser Zeit in einem gewissen Ausnahmezustand. Das gesamte Leben, was sonst täglich in gewohnten Bahnen abläuft, muss plötzlich in Gedanken an einen anderen Ort transferiert und durchgespielt werden. Uralte menschliche Instinkte sagten mir, dass es jetzt sehr ungeschickt wäre, die kleinen für die Reise aufgehäuften Hügel zu zerstören oder gar Dinge zwischen zwei Häufchen zu vertauschen. Aber die Versuchung war doch zu groß.


„Sag mal, ich kann unsere Sonnenkappen nicht mehr finden!“, sagte sie mit leicht nervöser Stimme. „Hast Du mal auf den Stapel im Bad geschaut?“, fragte ich unschuldig. In wenigen Schritten war sie im Bad. „Ja, da sind Sie!“, antwortete sie, um mit prüfender Stimme fortzufahren, ob hier Sabotage im Spiel sei: „Ich war mit sicher, dass ich sie in den Flur gelegt hatte?!“

„War nun ein kleiner Scherz!“, sagte ich. Doch noch ehe ich den Satz beendete, merkte ich, dass mein Versuch, der ganzen Angelegenheit, etwas Lockerheit beizumischen, gänzlich gescheitert war.

„Ist Dir eigentlich klar, dass ich seit zwei Tagen dauernd am Sachen zusammensuchen bin“, begann das Drama, „und das alles, während Du die ganze Zeit Fußball guckst. Du könntest wirklich auch mal mithelfen. Das ist kein Spaß.“


Da brach die ganze Anspannung heraus. Nein, Packen ist wirklich kein Spaß. Jahrelange Konversationsrituale hatten mich herausfinden lassen, dass es klug war, auf ihren Einwand keine Antwort zu geben. Denn natürlich war es so, dass wenn zwei Personen gleichzeitig Alltagsgegenstände häufeln, das Chaos bereits vorprogrammiert ist. In den letzten 24 Stunden vor der Abreise wuchsen die Häufchen zu stattlichen Bergen heran und die dazu gehörigen Koffer und Taschen wurden seitlich neben den Bergen drapiert.

Bereits 24 Stunden vorher lag fest, was ich am nächsten Morgen anziehen würde, da dies natürlich nicht mit in den Koffer kam. Eine Entscheidung, die ich im normalen Leben wenige Minuten vor dem Anziehen fälle. Jetzt heißt es nichts Falsches mehr sagen oder Scherze machen. Ich will ja keine Urlaubsstimmung verderben.

Konzentriertheit zeigen ist ein empfehlenswerter Gesichtsausdruck. Er signalisiert der Frau, dass man den Ernst der Lage durchaus erfasst hat und nach besten Kräften versucht, seinen Beitrag dazu zu leisten.


Rhythmische Bump-bump Geräusche wie die Schläge einer Kesselpauke durchdrangen die Wohnung. Das mussten die Kinder sein. „Was macht ihr da?“, stellte ich aus dem Sessel meine Frage als Schallwelle Richtung Kinderzimmer. „Der Koffer geht nicht zu!“, schreite es vergnügt aus dem Kinderzimmer. Das hörte sich nach einer Fallstellung an, die Manneskraft verlangte und ich eilte zum Tatort.


Unsere zwei Kinder hatten sich an den Händen gefasst und hopsten vergnügt auf den Kofferdeckel des Samsonite, der praktischerweise das schon lange gewünschte Trampolin ersetzte. Durch die Schräglage des Deckels war allerdings nur ein Hopser vom Bett aus möglich, dann musste der Absprung auf den Fußboden erfolgen. Soweit die vergnügliche Seite der Angelegenheit, aber auch meine Frau hatte sich dem Tatort genähert.

Gerade als sie das wilde Treiben beenden wollte, flogen die beiden übereinander auf den Boden und das Geheule begann. Natürlich ließ sich der Koffer nicht durch pure Gewalt verschließen. Erste Untersuchungen zeigten sofort, dass nur eine Reduzierung der Gegenstände die Lösung bringen konnte. Berge von Wäsche quollen mir entgegen, die meine Frau auch den Kindern als Häufchen zurecht gelegt hatte: T- Shirts, Röcke, Hosen, Regencapes - oft in 10facher Ausführung.


„Bist Du dir sicher, dass sie das alles brauchen?“, fragte ich meine Frau, die auf diese Frage offensichtlich nur gewartet hatte. „Wenn Du dich auch nur ab und zu um die Kinder kümmern würdest, dann wüsstest du sehr wohl, dass sie das alles brauchen“, schwallte es mir entgegen. Ich begann die T-Shirts zu zählen und kam auf 15, immerhin eines mehr als der zweiwöchige Urlaub überhaupt Tage hatte.

Noch bevor ich meine Frage stellen konnte, begann sie zu erwidern, dass sich die Kinder ja auch mal nass spritzen oder dreckig machen könnten und ich solle jetzt bitte keine Diskussion über Notwendigkeit der Ausrüstung beginnen. „Und die Gummistiefel?“, startete ich einen letzten Versuch. „Ja, und wenn sie mal an einem Bach spielen wollen?“ „Au, gibt es einen Bach in der Nähe?“, fragte unser Jüngster, der sich vom Fallen wieder beruhigt hatte und dem Gespräch zugehört hatte. „Yippieh!“


Natürlich spürte ich meine taktisch ungeschickte Position sofort, denn die Gummistiefel aus der Ausrüstungsliste zu streichen, hieße den Kindern die schöne Urlaubsfreude nicht gönnen zu wollen für den theoretischen Fall, dass ein Bach in der Nähe sei. Keine Frage, dass auch die Regensachen notwendig waren, denn es könnte ja auch mal regnen und wahrscheinlich dürfen Kinder ohne Tauchflossen dort gar nicht ins örtliche Freibad.

Also nahm ich mir das schwächste Glied in der Kette vor und untersuchte die eingepackten Spielsachen der Kinder. Neben den Steckperlen, diversen Brettspielen und den Plastikwurfringen hatte die gesamte Holzmurmelbahn Platz gefunden. „Die Murmelbahn bleibt da!“, sagte ich streng.

„Nein, n-e-i-h-e-i-n!“, begann unser Jüngster zu schluchzen als sei seine Kindheit nun völlig zerstört. Wie automatisch richteten sich alle Blicke auf meine Frau. Jetzt war sie auch noch in der Schiedsrichterposition. Ich setzte meinen Wenn-ich- jetzt-nicht-Recht-bekomme-Blick auf und sah aus den Augen, dass sie die Warnung verstanden hatte. Sie nahm den Sohn auf den Arm und erklärte ihm unter seinem Schluchzen, dass man dort auch aus Papierbällen und Baumrinde eine schöne Murmelbahn bauen konnte, nicht ohne mir blicktechnisch zu sagen, dass sie nun noch was gut hätte. Die Murmelbahn war ziemlich umfangreich, sodass nun mit einiger Gewalt der Kinderkoffer zuging.


So sehr Frauen in der Lage sind, die Vorbereitung des Packens generalstabsmäßig zu planen, so endet die Vorbereitung doch genau an der Wohnungstür. Noch nie habe ich es erlebt, dass auch nur ein Sekunde darauf verschwendet wurde, ob das ganze Zeug auch ins Auto passt. Ungünstigerweise besitzen wir nämlich keinen Kleinlaster oder haben holländische Wurzeln, sodass alles in den Wohnwagen passt.

Auch das Anbinden von Gegenständen an den Auspuff ist nur bei Hochzeiten in einigen Gegenden üblich. Nach mehreren Beladungs- und Optimierungsversuchen war klar, dass ich mal wieder mit der Skibox in den Sommerurlaub fahren würde.


Dicht gequetscht auf dem Rücksitz zwischen den Kindern war die Tasche mit Reiseproviant, Erste- Hilfe Materialien und Spielen für die Fahrt. Zwei Decken und Kissen waren ebenfalls mitgekommen für den potentiellen Stau und eine Taschenlampe und ein kleines Werkzeugset. Man weiß ja nie… Es saßen alle im Auto. Es war alles verstaut, selbst die Rollläden in der Wohnung waren halb herunter gelassen, so dass sehr naive Einbrecher meinen konnten, wir seien gar nicht verreist sondern hätten nur des Sonnenschutzes wegen die Rollläden ein wenig heruntergelassen. Anderseits hätten Einbrecher in unserer Wohnung sowieso so gut wie nichts mehr gefunden, denn die gesamte Ausrüstung befand sich im Auto.


„Ein fragendes „Ja?“ zu meiner Frau sollte sicherstellen, dass wirklich alles gepackt war und es losgehen konnte. „Ja, wir können!“, sagte sie und für einen kurzen Moment schien es so, als würde die Last und Anspannung der vergangenen Tage endlich von uns abfallen. Endlich war der Kopf frei von all den vielen Eventualitäten, die alle noch mit einzuplanen waren. Meine Gedanken begannen sich langsam auf Urlaub einzustellen. Erholen, nichts Denken, kein Ärger, abschalten. Es war friedlich im Auto.


Nach etwa 500 Metern Fahrt sagte sie: „Lass uns überlegen, was wir vergessen haben. Noch können wir umkehren!“

Der Friede ist ein langer Weg. Noch war an Abschalten nicht zu denken. Wieder war es still. Nicht sekunden-, nein minutenlang ratterte ihr Kopf alle potentiellen Lebenssituationen der nächsten 14 Tage durch. Die Pause schien ewig zu dauernd und je länger sie dauerte, desto positiver schien das Ergebnis zu werden.


Nach 5 Minuten durchbrach sie die Stille: „Wir haben die Schwimmringe für die Kinder vergessen!“

Es war, als wäre der Urlaub schon jetzt zu Ende. „Wenn ich nicht an alles denke!“ seufzte sie und ihre Stimme senkte sich traurig nach unten. Es klang wie die Erklärung, dass das Packen dieses Jahr komplett gescheitert ist. „Schatz, der Schwarzwald ist doch nicht außerhalb der Zivilisation. Zur Not kaufen wir dort neue. Es gibt für alles eine Lösung.“


Ich sah es an ihrem Blick. Sie hatte keine Energie mehr umzukehren. Wir fuhren tatsächlich in den Urlaub ohne Schwimmringe. Auf eine wundersame Weise sollte sich meine Prophezeiung erfüllen, dass es immer eine Lösung geben würde, aber sie war anders als gedacht. Die Kinder haben im Urlaub den Freischwimmer gemacht und wir brauchen nie wieder Schwimmringe im Urlaub. Ein Bach war übrigens nicht in der Nähe, aber es hätte natürlich einer in der Nähe sein können.